Als wir vor 1.5 Jahren zum ersten Mal in unserem Leben einen Hund bekamen, wollte ich mich natürlich gut vorbereiten. Dazu gehört für mich immer erstmal, mich so gut es geht einzulesen. Ich ging also in die Stadtbibliothek und lieh mir aus, was da so an Hundetrainingsbüchern zur Auswahl stand. Wenig später rauchte mir zuhause der Kopf und ich wusste ziemlich genau, wie ich meinen Hund nicht erziehen wollte. Hunde sind, wie wir, fühlende und intelligente Lebewesen und das wollte ich respektieren.
Gottseidank fanden wir dann eine tolle Hundetrainerin und so konnten Kaya und ich eine wunderschöne Beziehung aufbauen. Sie ist eine anhängliche, sehr kinderliebe und extrem geduldige Hündin geworden, ohne die ich mir unser Leben nicht mehr vorstellen kann und die mich bei meinen Waldkindergruppen mit viel Freude begleitet.
Dennoch, es war ein anstrengender Weg am Anfang, und ich wäre froh gewesen, wenn es damals schon Raouls Buch gegeben hätte. Denn Raouls Buch ist genau das, wonach ich unbewusst in der Bücherei gesucht hatte. Ein Buch, in dem es eben nicht um tausend Verhaltensregeln und -maßnahmen geht, sondern um die Beziehung zwischen Mensch und Hund. Und das nicht im luftleeren Raum, sondern eben in der Natur – dort, wo wir alle herkommen und wo die Beziehung zwischen Mensch und Hund vor Jahrtausenden von Jahren begann.
Natur ist unsere Heimat. Und die unseres Hundes. Ich denke, es ist an der Zeit nach Hause zu kommen. Unser Hund kennt den Weg – folgen wir ihm.
Raoul Weber, Wilde Pfade
Als ich dieses Zitat las, lief mir eine Gänsehaut über den Rücken, denn davon hatte ich immer geträumt, als ich noch keinen Hund hatte und genau das war wahr geworden. Seitdem ich Kaya habe bin ich so viel im Wald unterwegs und sie hat mir auf ihre Weise ganz viel gezeigt und beigebracht.
Raouls Grundannahme ist, dass wenn wir uns mit der Natur verbinden, auch unseren Hunden näher kommen. Denn mit der Natur verbunden zu sein, heißt auch, mit sich selbst verbunden zu sein. Wenn wir im Einklang mit uns sind, fallen viele Probleme weg, die Hundehalter*innen häufig mit ihren Hunden haben. Hunde kennen ihre Halter*innen nämlich oft besser als diese sich selbst und Probleme entstehen häufig dann, wenn die Hundehalter*innen einfach Regeln gegen ihre eigene inneren Überzeugungen und Natur durchsetzen wollen.
Ich finde diesen Ansatz sehr überzeugend und wollte den Autor gerne kennen lernen. Wie es das Schicksal dann wollte, kreuzten sich unsere Wege in einem Online Spurenkurs von Paul Wernicke von der Wildnisschule Hoher Fläming und ich habe die Gelegenheit genutzt Raoul ein paar Fragen zu stellen.
Interview
Wie war Dein Weg? Wie bist Du zum Hundepsychologen geworden?
Angefangen hat alles mit dem Wolf. Ich weiß gar nicht mehr, wie und wann genau er in mein Leben trat. Er war einfach da – und blieb. Ich habe mich also eine ganze Weile sehr intensiv mit Isegrim beschäftigt. Ein eigener Hund war zu dieser Zeit überhaupt kein Thema. Schließlich war ich voll berufstätig und so etwas wie Hundetagesstätten gab es damals noch nicht.
Bei meiner damaligen Freundin sah es in Sachen „Hund und Job“ besser aus. Sie konnte beides verbinden und so kam es, dass sie sich zunächst als Pflegestelle für einen Hund aus dem Tierschutz zur Verfügung stellte. Auf einmal war das Thema „Hund“ also sehr real und stand von heute auf morgen in Form einer jungen Huskyhündin vor mir. Sie hörte auf den Namen Lara und ich war sofort in die kleine Maus vernarrt. Dummerweise war diese Sympathie zunächst sehr einseitig: Lara hatte panische Angst vor Männern und war darüber hinaus mit vielen alltäglichen Umweltreizen komplett überfordert. Eine alles andere als optimale Kombination: Hund mit schlechten Erfahrungen in Sachen Mensch und Umwelt trifft auf Mensch mit null Erfahrungen in Sachen Hundehaltung und -verhalten.
Daraus entstand schnell der Wunsch, mich näher mit dem Thema „Verhalten“ zu beschäftigen. In erster Linie natürlich, um Lara helfen zu können. Also beschloss ich, mich zum Tierpsychologen mit dem Schwerpunkt „Hund“ ausbilden zu lassen. In der Ausbildung ging es auch um die Ökologie des Wolfes. Da half es mir natürlich sehr, dass ich mich schon seit längerem mit ihm beschäftigte.
Darüber hinaus lernte ich natürlich auch, hündisches Verhalten zu deuten und somit besser zu verstehen. Und ich lernte, wie man Hunden wie Lara hilft. Wie man sie unterstützt auf ihren Weg zurück in ein zumindest halbwegs normales Leben. Dieses Wissen kam Lara natürlich zu Gute.
Es dauerte dennoch viele Monate, bis sie sich aus dieser Angst lösen konnte. Zeit, die wir ihr gerne gaben. Lara wurde übrigens nicht weitervermittelt und blieb bei uns. Und eines Tages trat dann tatsächlich das ein, was ich mir so sehr wünschte: Wir waren ein Herz und eine Seele.
Wie war Dein Weg zurück in die Natur?
Als Kind war ich mehr draussen als drinnen. Ich glaube, das ging allen Kindern so zu der Zeit. Wir sprechen ja von den Siebzigern. Eine Zeit ohne Smartphone, Social-Media und Computerspielen.
Ich wuchs am Rande einer mehreren Hektar großen Grünanlage auf. Hier konnten wir Höhlen bauen, kleine Bäche stauen und auf Bäumen herumklettern.
Dann kam die Pubertät und das wilde Partyleben. Naja, und weil Partys weniger in der Natur stattfinden und man im Wald wirklich sehr geringe Chancen hat, ein Mädchen kennenzulernen, war ich eine ganze Zeit lang irgendwie weg aus der Natur.
Es dauerte dann noch einige Jahre, bis ich wieder meinen Weg zurück in die alte Heimat, also die Natur, fand. Es war in meinen frühen Dreissigern und begann mit meiner bereits beschriebenen Liebe zum Wolf. Später kamen dann Lara und die anderen Hunde dazu, die meine Naturverbindung auf eine anfangs kaum spürbare Art und Weise mehr und mehr verstärkten. Es dauerte nämlich nicht lange, da lebten wir mit einer fünfköpfigen Bande sibirischer Huskies am Rand der Lüneburger Heide. Unser Haus stand direkt am Waldrand. Zu der Zeit fuhr ich noch jeden Tag nach Hamburg zur Arbeit. Ich weiß noch, wie schön es war, früh morgens mit den Hunden durch den Wald zu laufen, bevor ich mich in den Großstadtdschungel stürzen musste.
Seit dieser Zeit war die Natur wieder ein fester Bestandteil meins Lebens und ich verbrachte soviel Zeit wie möglich im Wald. Das war allerdings sehr schwierig, denn durch das Pendeln nach Hamburg und den Vollzeitjob war ich täglich mehr als 13 Stunden ausser Haus.
Das besserte sich glücklicher Weise, als ich mich dann eines Tages selbständig machte. Heute arbeite ich viel im Homeoffice und kann mir meine Termine so legen, wie sie am besten passen. Das bedeutet, dass ich täglich für eine gewisse Zeit durch die Natur zu streifen kann. Etwas, wofür ich sehr dankbar bin.
Was ist Dir besonders wichtig? Was ist Deine Botschaft, die Du in die Welt hinausbringen möchtest?
Seid wild, geht raus und seid offen für das, was passiert!
Das klingt nicht nur einfach – das ist es auch! Wir müssen es nur wollen und zulassen.
Naturverbindung ist immer sehr individuell. Genauso individuell wie wir Menschen, unsere Hunde und unsere Beziehungen zueinander.
Durch Social-Media und all die anderen Medien entsteht ein stetig wachsender Druck, ein noch besserer Hundehalter zu sein. Nur, was ist das? Ein besserer Hundehalter?
Immer wieder ertappen sich diese Menschen, wie sich sie selbst beobachten. Ihr Verhalten, oder sogar die Beziehung zu ihrem Hund auf den Prüfstand stellen, indem sie sich mit anderen Mensch-Hund-Teams vergleichen. Das erzeugt manchmal sehr viel Druck. Das Problem ist, dass Druck uns nicht lernen lässt, unsere Sinne verschließt und uns blind macht. Druck ist also nicht gut.
Nun finden viele Probleme, die Mensch und Hund in ihrer Beziehung haben, interessanterweise in der Natur nicht statt. Der Grund dafür ist häufig sehr simpel: Es gibt dort zwar jede Menge Reize – aber eben nicht die, die uns Probleme bereiten. In der Natur gibt es zum Beispiel selten unliebsamen Hundebegegnungen an der Leine oder bedrohlich laute Autos. Ich kann diesen Dingen also bequem aus dem Weg gehen. Und das ist wichtig. Sehr wichtig sogar! Denn erst diese Ruhe und die damit einhergehende Harmonie ermöglicht es mir, wieder einen Zugang zu meinem Hund zu finden.
In meinem Buch habe ich Beispiele aufgeführt, anhand derer uns die Natur zeigt, wie wir gemeinsam mit unserem Hund durchs Leben gehen sollten.
Mein Lieblingsbeispiel sind die Küstenwölfe in British Columbia. Sie zeigen uns, dass es in der Natur keine Schubladen gibt und jedes Mensch-Hund-Team auf seine eigene Art und Weise durchs Leben gehen sollte.
Der Hund würde dies ohnehin tun, wenn man ihn machen liesse. Es liegt an uns Menschen, einfach mal loszulassen und der Wildnis zu folgen – der äußeren wie der inneren.
Wie und wo kann man dich im Internet finden? Was sind deine nächsten Projekte?
Ich habe bisher sehr schöne und teilweise auch berührende Feedbacks zu meinem Buch erhalten und möchte mich künftig noch intensiver mit dem Thema Mentoring beschäftigen.
Nun hat Corona natürlich auch bei mir so einiges auf den Kopf gestellt – beispielsweise meine Termine für diesen Sommer. Mit etwas Glück findet in diesem Jahr noch der eine oder andere Workshop oder Vortrag statt.
Wer sich dafür interessiert, folgt einfach meinen digitalen Spuren auf Facebook oder auf meiner Website canidenfreund.de.
Vielen Dank dir, Raoul, für diese schönen Antworten.
Raouls Buch ist beim Kosmos Verlag erschienen und kostet 18 Euro. Es ist in jeder Buchhandlung und im Internet hier erhältlich.
Das Buch wurde mir vom Verlag umsonst als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt worden.