Die Geschichte einer Nachtwanderung

Der Januar ist vorbei, die Tage werden wieder länger. Doch noch ist abends früh genug dunkel, um mit den Kindern eine Nachtwanderung zu machen. Seit drei Jahren machen wir jedes Jahr im Januar mit den Kindern der Nachbarschaft eine Nachtwanderung. Damit es nicht langweilig wird, gehen wir jedes Jahr eine andere Strecke. Letztes Jahr hatten wir das Glück, das noch Schnee lag, da konnten wir die Wege der Tiere gut verfolgen. Hier könnt ihr mehr dazu nachlesen.

Dieses Jahr lag kein Schnee, noch nicht mal ein bisschen. Da musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Als ich die geplante Strecke nochmal abgegangen bin, wusste ich, was ich zu tun hatte: Ich ließ meine Erfahrungen, die ich an diesem Abend gemacht hatte, in eine Geschichte einfließen.

Eine magische Nacht

„Schau mal Max, ein Brief vor unserer Haustür“. Isa beugte sich und nahm den Brief hoch, Max riss ihn seiner Schwester aus der Hand. 

„Wollt ihr ein Abenteuer erleben? Dann sucht die Zwergenhütte. Sie liegt in dem Tal, wo früher das Bergwerk der Zwerge war.  Geht über die Brücke, biegt dann nach links ab bis ihr zu einer Anhöhe kommt. Dort folgt ihr dem Hohlweg hinunter ins Tal. Hinter dem Bächlein werdet ihr das Licht sehen. Achtet während der Reise auf die Tiere, die euch begegnen. Was erzählen sie euch?“

Max lies den Brief sinken. Was für eine seltsame Botschaft. Er sah seine Schwester an. Was sollten sie damit anfangen? Doch Isa hatte keine Bedenken, sie griff nach Max Arm und zog ihn aus dem Haus. 

Nachtwanderung an der Bille
Die Bille fror niemals zu.

Es wurde dunkel, als sie über die schmale Brücke liefen, aber sie hatten keine Angst. Nur die Amseln waren alarmiert, sie begleiteten mit Alarmrufen ihren Weg. Unter der Brücke floss die Bille gemächlich dahin. Kalt war es, doch es war kein Eis auf dem Fluss, der auch im tiefsten Winter niemals zufror. Eine Lebensader für die Tiere, denn hier konnten sie immer sicher sein, offenes Wasser zu finden. Graureiher und Eisvögel wussten das zu schätzen, auch die Wasseramsel, die aus dem hohen Norden hier im Winter zu Gast war. Doch sie alle hatten sich schon längst alle einen Schlafplatz gesucht. Noch unterwegs hingegen waren die Enten, die in diesem Moment schnatternd den Flusslauf Richtung Schloss hinaufflogen. Maximilian und Isabel sehen ihnen nach. Und in dem Moment passierte es: Auf einmal konnten sie verstehen, was sich die Enten zuriefen. 

„Weiter, weiter“ riefen die einen.  Bis zum Schlossteich, da haben  wir es immer gemütlich und wir sind zu vielen. „Ich kann nicht mehr“, erwiderte eine junge Ente, „ich möchte endlich schlafen, es war ein langer Tag und mir ist langsam kalt“. „Nun komm, nur noch ein kleines Stückchen. Bald haben wir es geschafft“ schallte es von allen Seiten. „Nun gut“, schnatterte die junge Ente und flog den anderen hinterher bis sie außer Sicht waren. 

Max und Isa sahen sich an. Was war passiert? Doch bevor sie sich weitere Gedanken machen konnten, hörten sie schon zu ihrer Linken ein Rascheln. Ein Reh lief dort durch das Unterholz. 

Und auf einmal konnten Max und Isa seine Gedanken lesen. „Jetzt ist es gerade dabei, dunkel zu werden, da suche ich lieber nach Nahrung. Hoffentlich finde ich bald genug Brombeerblätter, damit ich mir dann einen Schlafplatz suchen kann. Dann scharre ich das Laub zur Seite und kuschele mich in die Erde. Rehbetten nennen das die Menschen. Dabei ruhe ich darin nur und käue wieder. In der Morgendämmerung suche ich dann weiter nach Nahrung bevor die Menschen unterwegs sind. Hoffentlich begegne ich niemanden von ihnen, ich bin auf meine Energiereserven angewiesen. Mein Fell hält mich zwar warm, aber ich darf mich auf keinen Fall zu oft schnell bewegen, sonst wird das Überleben für mich schwieriger. 

Die Kinder hielten inne. Sie wollten das Reh auf gar keinen Fall aufschrecken. Schließlich hörten sie, wie sich seine Schritte entfernten. Als sie verklungen waren, schlichen sie die Anhöhe hinauf. 

Oben angekommen, hörte man die Enten vom Fluss wieder ganz deutlich. 

Brücke über Hohlweg
Wozu diese Brücke wohl einmal gedient hatte?

Max und Isa bogen nach rechts ab, durch den Hohlweg, der noch aus alten Zeiten stammte. Hier waren früher das Bergwerk der Zwerge gewesen, eine alte Brücke über ihnen war noch Zeugnis dieser Vergangenheit. Was die Zwerge wohl hier abgebaut hatten? Man konnte noch die Schienen sehen. 

„Huhu“ erklang in diesem Moment der Ruf des Waldkäuzchens. Es hätte unheimlich klingen können, doch auch diesmal verstanden Max und Isa seine Botschaft. Huhu hieß „Hier bin ich liebes Weibchen, höre mich doch. Ich habe ein tolles Revier und suche nur noch dich. Ich weiß, ich bin früh dran, doch meine Nisthöhle ist bereits fertig für dich.“

Nach ein paar Rufen verstummte der Kauz. Wahrscheinlich war er jetzt auf die Jagd gegangen, Vier Mäuse vertilgt jeder Waldkauz pro Nacht und das jede Nacht, die Jagd geht bis in die Morgendämmerung. Da war es Zeit für die Mäuse in Deckung zu gehen. 

Weiter führte der Hohlweg den Berg hinab zu einem kleinen Tal. Als die Kinder aus dem Hohlweg wieder auftauchten, scharrte es neben ihnen im Gebüsch. Isa und Max hielten inne. Doch diesmal war es kein Reh, dazu waren es zu viele. Eine Wildschweinrotte war unterwegs, angeführt von einer Bache, einem erfahrenen Weibchen. 

Max hielt den Atem an. Waren Wildschweine nicht auch gefährlich? Doch sobald die Wildschweine die Kinder wahrnehmen, verschwanden sie so schnell wie sie gekommen waren. Max zählte fast 20 Wildschweine, die wieder im Dickicht verschwanden. Isa lachte ein bisschen, als sie Max’ Anspannung wahrnahm: „Vor Wildscheinen brauchst du jetzt keine Angst zu haben. Erst ab März, wenn sie Junge haben, können die Bachen unbequem werden, wenn du ihren Frischlingen zu nahe kommst. Dann solltest du ein bisschen aufpassen – in den meisten Fällen wirst du sie dann aber sowieso nur mit viel Glück sehen.“

Max atmete aus und entspannte sich. Puh, was im Wald so alles los war. Jetzt war es aber Zeit, endlich die Zwergenhütte zu finden. Sie durchquerten das kleine Flusstal und da auf der anderen Seite, sah er es: Das kleine Licht, das ihnen den Weg zur Zwergenhütte wies. Dort fanden sie Unterschlupf und ruhten sich aus. 

Als sie schließlich wieder den Rückweg antraten, sah der Fuchs ihnen nach. Keiner hatte gemerkt, dass er da war und jetzt würde er schauen, was die Menschen hinterlassen hatte. Irgendetwas war doch immer etwas dabei, was ihm schmeckte. Das war gut, denn die Mäusejagd war mühsam im Winter, selbst wenn kein Schnee lag. 

Vom Kirchturm klang die Glocke, als sie die Brücke wieder überquerten. In der Ferne hörten sie die Enten, doch jetzt war es nur ein Geschnatter, wie sonst auch. 

Die magische Nacht war zu Ende, jetzt würden sie sich zuhause am Feuer wärmen. 

Kathrin Blum

Dämmerung Nachtwanderung
Kurz vor Sonnenuntergang trafen wir uns. Die Kinder schaukelten noch ein bisschen am Seil.

Diese Geschichte las ich den Kinder vor unserer Nachtwanderung vor. Wir trafen uns zur Dämmerung, so dass ich meine Schrift gerade noch lesen konnte. Mein Ziel war, ihre Wahrnehmung dafür, was sich alles im Wald bewegte, zu schärfen. Natürlich begegnet man mit sieben Kindern und fünf Erwachsenen keinen Rehen oder Wildschweinen. Aber ich hatte ihre Spuren gesehen und wusste, dass sie da waren. Das Schnattern der Enten hatte ich gehört, genauso wie das Waldkäuzchen, die Losung des Fuchses hatte ich auch gefunden.

Bei uns war das Highlight die Suche nach der Zwergenhütte (ein schönes Shelter, das ich im Wald gefunden hatte), das tatsächlich bei Dunkelheit gar nicht so einfach zu finden war. Dort haben wir Pause gemacht, eine Runde Kekse verteilt und sind dann in der Dunkelheit zurück nach Hause gelaufen, wo uns ein wärmendes Lagerfeuer erwartet hat.

 

Falls ihr auch eine Nachtwanderung mit euren Kindern machen wollt, könnt ihr die obige Geschichte gerne als Blaupause nehmen und eure eigenen Erfahrungen einbauen.

Anbei ein paar Tipps:

  • Die Strecke sollte nicht zu lang sein, in den meisten Fällen ist es eher ein Nachtspaziergang als eine Wanderung.
  • Ich empfehle auf jeden Fall die Strecke einmal bei Tageslicht und einmal im Dunklen vorher abzugehen, damit ihr auch in der Dunkelheit problemlos den Weg findet.
  • Natürlich ist es schöner, wenn es sich tatsächlich um nicht beleuchtete Wege handelt.
  • Wenn ihr die Strecke im Tageslicht abgeht, achtet auf Spuren. Besonders gut eigenen sich dafür matschige Stellen, da könnt ihr viele Trittsiegel finden. Auch Losungen geben einen Hinweis darauf, wer sonst noch im Wald unterwegs ist (Fuchslosungen liegen z.B. immer unübersehbar auf erhöhten Stellen, gerne auch auf Baumstümpfen.) Einen Einstieg zum Thema Tracken findet ihr hier.
  • Wenn ihr die Strecke im Dunklen abgeht, versucht so achtsam und so leise wie möglich zu sein. Vielleicht legt ihr sogar eine kurze Pause unterwegs ein. Was hört ihr? Welche Vögel sind noch unterwegs? Was raschelt im Laub? Wie sehen die Bäume jetzt in der Dunkelheit aus? Versucht so lange wie möglich auf Taschenlampen zu verzichten, mit Taschenlampen sieht man nämlich gar nichts mehr.

All das könnt ihr in eurer Geschichte verarbeiten. Vielleicht habt ihr Lust, noch ein bisschen tiefer einzusteigen und nachzuschauen, wie die Tiere leben, deren Spuren ihr gefunden habt. Auch das könnt ihr natürlich in der Geschichte verarbeiten.

Ich hoffe, ich konnte euch inspirieren rauszugehen und wünsche euch viel Spaß draußen im Wald. Wenn ihr mögt, erzählt doch mal, was ihr so erlebt.

Herzlich,

Eure

Kathrin

P.S. Ihr könnt gerne auch die Geschichte selber verwenden, bitte jedoch immer unter Angabe des Copyrights. Von einer weiteren Publikation im Internet bitte ich abzusehen. Bei einer Verwendung in einem kommerziellen Kontext bitte ich um vorherige Anfrage.

 

Meine neue Begleiterin im Wald: Unsere Labradorhündin Kaya

 

1 Kommentar zu „Die Geschichte einer Nachtwanderung“

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