Es ist ein grauer Morgen, als ich Tala Mohajeri besuche. Nachbarn haben begonnen ihre beiden Birken zu fällen, das Kreischen der Kreissäge durchschneidet schon seit Tagen meine Nerven. Bevor ich losfahre schneide ich noch ein bisschen Birkenrinde von dem gefällten Baum. Sie haben mir immer die Sicht verschönert, die Birken, ich werde sie vermissen.
Kurze Zeit später erreiche ich das verwunschene Waldstück, in dem Tala wohnt. Ruhig ist es hier, der Regen hängt wie Nebel in den Bäumen. Buchen umarmen einander, das Gerüst einer Schwitzhütte weist mir schon von weitem den Weg.
Die Klingel in ihrem Haus funktioniert nicht, doch Tala ahnt trotzdem, dass ich vor der Tür stehe. Sie bittet mich herein, wir machen es uns am Kamin gemütlich, das Feuer flackert und wir unterhalten uns über die Kraft der Bäume und Steine und über ihr Buch, „Die Wildnis in dir.“
Tala Mohajeri hat eine unglaublich warmherzige Ausstrahlung. Sie ist Heilpraktikerin und mir ist sofort klar, was ihre Patienten an ihr schätzen. Außerdem bietet sie Frauenjahresgruppen, Schwitzhütten und Workshops zum Thema emotionale Körperlandschaften wie Wut, Trauer, Freude und Angst an.
Die Erfahrungen aus dieser Arbeit sind in das Buch eingeflossen, das mich sehr angesprochen hat. Es ist ein Buch, das mehr auf der emotionalen Ebene agiert als auf der intellektuellen, es geht darin um einen natürlichen Zugang zu Natur ohne irgendwelche Vorkenntnisse oder Wissen. Für Tala ist nicht wichtig, wie die Bäume oder Vögel heißen, ihr geht es darum, welche Botschaft sie für uns haben, wie wir mit ihnen in Verbindung gehen können, und entdecken können, wie sie uns helfen. Ich muss gestehen, ich mag dieses Vorgehen sehr, liegt doch eine ungeheure Kraft und Hoffnung darin.
In zwölf Kapiteln nimmt uns Tala mit auf die Reise in das Innere der Wildnis. Wildnis meint dabei nicht weit entfernte Orte wie die Tundra oder die Kalahari, sondern unsere eigene Natur vor unserer Haustür und das nicht nur auf dem Land, sondern gerade auch in der Stadt, dort, wo viele keine Wildnis mehr vermuten (Hier könnt ihr meine Tipps für Wildnisentdeckungen in der Großstadt nachlesen). Ein ganzes Kapitel ist der städtischen Wildnis gewidmet.
Und wenn ihr jetzt sagt: Ja, aber ich habe dafür gar keine Zeit, mein Leben ist schon so durchgetaktet, dann möchte ich euch das Buch von Tala erst recht empfehlen. Denn dort finden sich ganz viele kleine Übungen, wie man die Natur als Kraftquelle für jeden Tag nutzen kann, wie man seinen Alltag wieder positiv besetzen kann.
Ich habe dort viele schöne Ansätze gefunden und freue mich schon darauf, diese Übungen in meine tägliche Praxis zu übernehmen, wie zum Beispiel der kleine Berg der Freude. Dabei nimmt man ganz viele kleine Steine (oder auch Bohnen o.ä.). Jedes Mal, wenn einem etwas Gutes widerfährt, legt man einen kleinen Stein in ein Säckchen. Abends oder nach mehreren Tagen kann man sich dann die Sternchen ansehen und sich an der Erinnerung erfreuen. Denn oft sind es viel mehr schöne Momente, als uns im Nachhinein bewusst ist.
Zum Schluss ermutigt sie uns noch uns eigene Naturkraftplätze und Rituale zu schaffen, eine schöne Anregung, wie man mit ganz einfachen Mitteln aus der Kraft der Natur schöpfen kann.
Auch hierzu gibt es eine Übung, die ich auf jeden Fall umsetzen werde: die Gebetssäckchen des Danks. Über Dankbarkeit habe ich ja neulich schon geschrieben, und ich merke tatsächlich, dass das tägliche Leben von Dankbarkeit mein Leben positiv verändert. Bei dieser Übung packt man kleine Säckchen des Danks zusammen mit einer kleinen Opfergabe, und hängt diese an einem Kraftplatz, einem Ort in der Natur auf, wo man sich wohlfühlt und eine positive Energie spürt.
An einen ihrer Kraftplätze gehen wir auch im Anschluss an das Gespräch. Dort, zwischen den Steinen, sagen wir der gefällten Birke auf unsere Weise Lebewohl und ich gehe mit dem Bild eines kleinen Birkensprösslings im Kopf nach Hause. Ihre Worte klingen noch lange nach.
Die möchte ich euch jetzt nicht mehr länger vorenthalten: Hier ist Tala in ihren eigenen Worten:
Interview
Magst du kurz etwas zu dir und deiner Geschichte sagen?
Ich bin von Beruf Heilpraktikerin und habe mich mit der Natur schon als kleines Kind verbunden gefühlt. Die Natur war damals ein Rettungsanker für mich, um zu überleben. Ich bin mit drei Jahren mit meiner Mutter aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Dort, wo ich aufgewachsen bin, gab es nicht viel Natur, aber es war der einzige Ort, wo ich Sicherheit gefunden habe und wo ich mich richtig zuhause gefühlt habe. Ich war fast die ganze Zeit draußen und habe viel von der Natur gelernt.
Warum hast du dich entschlossen, dieses Buch zu schreiben? Für wen hast du dein Buch geschrieben?
Ich war auf Visionssuche und für mich war das ein Ruf aus der Wildnis, mich jetzt zu trauen, mein Wissen weiterzugeben, es war wie ein Auftrag.
Mir war es wichtig, ein Buch zu schreiben, für Menschen, die sagen, ich nehme in der Natur etwas wahr, aber ich weiß gar nicht so richtig zu deuten. Das Buch gibt praktische Hinweise seiner eigenen Wahrnehmung zu trauen. Die Natur umgibt uns ständig, insbesondere in der Stadt, ist die Ausdruckskraft der Wildnis besonders, es lohnt sich, sie zu entdecken. Es ist ein Buch für Menschen, die den Spiegel der Natur als gute Medizin nutzen wollen.
Was würdest du diesen Leuten empfehlen zum Anfangen? Es sind viele Übungen in dem Buch. Welche Übung eignet sich dafür?
Eine ganz einfache Übung ist es, achtsam durch die Natur zu gehen, alleine unterwegs zu sein, versuchen sich zu entschleunigen. Je langsamer wir werden, umso genauer können wir fühlen und sehen.
Was passiert, wenn du mit einer Frage rausgehst, die dich beschäftigt. Mal nicht eine Freundin zu fragen, sondern rauszugehen und wahrzunehmen, was ich sehe und rieche. Vielleicht kommt die Antwort.
Ein Thema ist in deinem Buch ist auch der Jahreslauf. Wie wir im Einklang mit den Jahreszeiten leben können. Magst du uns deine Empfehlung verraten für die kalte Jahreszeit, wenn es sich auf den ersten Blick erstmal gar nicht anbietet rauszugehen?
Diesen Winter bietet es sich unglaublich gut an rauszugehen, weil es ja ziemlich mild ist. Wenn man jetzt, in der dunklen Jahreszeit, rausgeht, dann sieht man die Natur in ihrer ursprünglichen Form, du siehst die Strukturen der Bäume und der Erde wunderbar. Jetzt kann man damit in Verbindung gehen: Wie sind die Bäume ineinander gewachsen, wie stehen sie beieinander, wie fühlt sich kalter Wind an? All diese Fragen kommen jetzt auf.
Die Säfte gehen zurück, alles geht in den Rückzug. Was macht das mit deinem Körper, diese Entschleunigung, dieser Rückzugsraum?
Eine einfache Übung ist es, sich einen Platz zu suchen, wo es wirklich dunkel ist und sich hinzusetzen und zu spüren, was macht das mit mir. Ähnlich wie der Schlaf Erholung bringt, kann die Dunkelheit uns reinigen und kräftigen. In der Dunkelheit sind wir mit all unseren Themen auf uns alleine zurückgeworfen, so bewusst sich selbst wahrzunehmen, bürgt das Potenzial für Seelenwachstum. Das ist die Energie des Winters.
Kannst du mehr über die Winterenergie sagen? Das klingt spannend.
Der Winter ist eine Zeit, in der die Menschen auf ihre Körperkraft aufpassen sollten, ihn hüten und die eigenen Ressourcen pflegen.
Je mehr unsere Achtsamkeit nach innen gerichtet ist statt nach außen, je minimalistischer, die Gedanken werden, desto mehr können wir daraus schöpfen, können wir die Kraft aus der Dunkelheit holen. Die Frühjahrsmüdigkeit kommt meist gar nicht erst auf, wenn wir im Winter gut zu uns waren.
Du bist ein Mensch, der sehr sensitiv ist und sehr viel wahrnimmt. Wie gehst du mit den ökologischen Probleme, den vielen Verletzungen der Erde um, deren Zeugen wir tagtäglich werden. Wie schaffst du es positiv zu bleiben?
Die Natur lehrt Hingabe und Verbundenheit.
Das destruktive Handeln einiger Menschen braucht klare Gegenstimmen und Einsatz. Verbundenheit fordert mich auf mich mit Menschen zu vernetzten, die sich für ein gesundes, tiefes ökologisches Gleichgewicht der Erde einsetzen. Um positiv zu bleiben, gehe ich in Kontakt und suche bewusst Projekte der Hoffnung auf, die gute Möglichkeiten und Einfallsreichtum zum Wandel aufzeigen.
Die Hingabe lehrt, dass es die Anerkennung des einen ERD- Schmerz braucht. Schaue hin und fühle, was es mit dir macht. Die Achtsamkeit des Hinguckens ist wichtig. Daraus schöpfe ich Kraft. Egal, wie heftig der Schmerz ist, wenn ich hinschaue, dann nehme ich ihn bewusst wahr und dann kann ich ihm auch etwas entgegensetzen.
Vielen Dank Tala für das Interview. Für alle, die mehr über deine Arbeit wissen wollen: Wo kann man dich im Netz finden?
Alle Angebote findet ihr auf meiner Internetseite www.talamohajeri.com, sowie Instagram und Facebook.
Links:
Tala Mohajeri, „Die Wildnis in dir. Entdecke deine Einzigartigkeit.“ Irisiana 2017.
Einen kurzen Trailer zu dem Buch findet ihr hier.
Ich danke Tala sehr für das Interview. Das Buch wurde mir vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Die Fotos auf dieser Seite sind aus dem Buch, das Copyright liegt bei Tala. Die beiden Porträts sind von Sebastian Fuchs.
Das ist eine sehr beeindruckende Frau, die vieles sagt, was mir so sehr aus der Seele spricht. Ich bin ganz fasziniert, danke dir für deine tollen Beiträge. Du wohnst also in meiner alten Heimat (ich bin in Bergedorf geboren), das ist ja spannend. Dann werde ich einfach öfter jetzt bei dir vorbeischauen, du hast ein wirklich wunderbares virtuelles Zuhause. Ich wünsch dir viel Erfolg und Glück. Und nach diesem Bericht würde ich Tala auch gerne mal besuchen 🙂
Liebe Andrea, danke dir für deine lieben Worte , ich habe mich sehr darüber gefreut. Wenn du in Bergedorf geboren bist, dann wird dir hier einiges bekannt vorkommen, mein Sitzplatz ist ein paar Billeschleifen flussaufwärts. Ich freue mich auf dich! (Und ja, Tala ist wirklich eine beeindruckende Frau!) Liebe Grüße Kathrin
Das ist eine ganz wunderbare Empfehlung… Vielen Dank und lieben Gruß Ghislana
Liebe Ghislana, ja, ich glaube, das würde dir sicherlich gefallen. Liebe Grüße Kathrin
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